Schadensersatz
Der kartellrechtliche Anspruch auf Schadensersatz wird immer weiter verschärft.
Zuletzt ist der Kreis derer erweitert worden, die einen Schadensersatzanspruch geltend machen können. Jetzt kann grundsätzlich jeder (z. B. auch ein Endverbraucher) Ersatz für den Schaden verlangen, der ihm durch einen wettbewerbsbeschränkenden Vertrag oder ein entsprechendes Verhalten entstanden ist – auch wenn sich der Kartellverstoß nicht gezielt gegen ihn gerichtet hat.
Die Höhe des Schadens wird allerdings vielfach schwer genau zu ermitteln sein. Die Beweislast für die Schadenshöhe trägt der Geschädigte. Die an dem Kartellverstoß beteiligten Unternehmen können sich aber jedenfalls nicht darauf berufen, ihre Abnehmer hätten die – kartellbedingt – überhöhten Preise an ihre Kunden weitergegeben und damit keinen Schaden erlitten.
Der Anspruch auf Schadensersatz ist nicht schon deswegen ausgeschlossen, weil der Marktbeteiligte an dem Verstoß mitgewirkt hat. Daher können jetzt auch Unternehmen, die selbst an einer Kartellabsprache beteiligt waren, gegenüber den anderen Kartellmitgliedern Schadensersatzansprüche erwirken. Außerdem können andere Marktbeteiligte die Unterlassung des kartellrechtswidrigen Verhaltens von den beteiligten Unternehmen verlangen. Der Unterlassungsanspruch kann vom Geschädigten und von Wirtschafts-und Berufsverbänden, nicht allerdings von Verbraucherschutzverbänden geltend gemacht werden.
Schadensersatz bei Kartellverstößen
1. Schadensersatzansprüche bei Kartellverstößen
Unternehmen und Verbraucher, die durch Kartellverstöße wie Preisabsprachen, Marktaufteilungen oder Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung geschädigt wurden, haben das Recht, Schadensersatz zu fordern.
1.1. Rechtliche Grundlagen
- Artikel 101 AEUV: Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen.
- Artikel 102 AEUV: Verbot des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung.
- Richtlinie 2014/104/EU ("Kartellschadensersatzrichtlinie"): Erleichtert Schadensersatzklagen.
- § 33 GWB (Deutschland): Nationale Umsetzung der EU-Regeln zu Kartellschadensersatz.
Diese Regeln ermöglichen geschädigten Unternehmen und Verbrauchern, den gesamten wirtschaftlichen Schaden einzuklagen, den sie durch kartellrechtswidriges Verhalten erlitten haben.
2. Wer kann Schadensersatz fordern?
2.1. Direkt geschädigte Unternehmen und Verbraucher
- Unternehmen, die direkt bei einem Kartellmitglied eingekauft haben und überhöhte Preise gezahlt haben.
- Beispiel: Ein Speditionsunternehmen, das überteuerte LKWs von kartellbeteiligten Herstellern gekauft hat.
2.2. Indirekt geschädigte Unternehmen oder Verbraucher (Pass-on-Klausel)
- Endkunden oder nachgelagerte Unternehmen, die die kartellbedingt erhöhten Preise weitergegeben bekommen haben.
- Beispiel: Verbraucher, die durch überhöhte Lebensmittelpreise wegen eines Herstellerkartells belastet wurden.
2.3. Öffentliche Institutionen
- Behörden, die aufgrund von Kartellen höhere Preise in Ausschreibungen bezahlt haben.
- Beispiel: Eine Stadtverwaltung, die für eine überteuerte Straßenbaumaßnahme wegen eines Baukartells Schadensersatz verlangt.
3. Arten des ersatzfähigen Schadens
3.1. Direkter Schaden ("Overcharge")
- Der durch überhöhte Preise entstandene wirtschaftliche Schaden.
- Beispiel: Ein Einzelhändler hat durch ein Preisabsprachen-Kartell 10 % zu viel für Produkte bezahlt.
3.2. Mittelbarer Schaden ("Pass-on-Effekt")
- Wenn ein Unternehmen überhöhte Preise an seine Kunden weitergegeben hat, kann es unter Umständen selbst keinen Schaden geltend machen.
3.3. Zinsansprüche
- Geschädigte können zusätzlich Zinsen ab dem Zeitpunkt des Schadenseintritts fordern.
4. Wichtige Urteile zu Schadensersatz bei Kartellverstößen
4.1. LKW-Kartell (EuG, Rs. T-799/17, EuGH C-588/20)
- Sachverhalt: Daimler, Volvo, MAN, Scania und andere LKW-Hersteller hatten über Jahre hinweg Preise abgesprochen.
- Ergebnis:3,8 Milliarden Euro Strafe durch die EU-Kommission.
- Schadensersatzklagen:
- Speditionen forderten Milliarden für überhöhte LKW-Preise.
- Nationale Gerichte gewährten zahlreiche Schadensersatzansprüche.
4.2. Zementkartell (EuG, Rs. T-141/08)
- Sachverhalt: Zementhersteller hatten Absprachen über Produktionsmengen und Preise getroffen.
- Ergebnis: Hohe Bußgelder und Folgeklagen durch Bauunternehmen.
4.3. Google Shopping (EuG, Rs. T-612/17)
- Sachverhalt: Google bevorzugte eigene Dienste in den Suchergebnissen.
- Ergebnis:2,42 Milliarden Euro Strafe durch die EU-Kommission.
- Schadensersatzklagen: Online-Wettbewerber forderten Entschädigungen für entgangene Umsätze.
4.4. Luftfrachtkartell (EuG, Rs. T-325/16)
- Sachverhalt: Airlines hatten illegale Preisabsprachen über Treibstoffzuschläge getroffen.
- Ergebnis:800 Millionen Euro Bußgelder durch die EU-Kommission.
- Schadensersatzklagen: Logistikunternehmen verklagten Fluggesellschaften wegen überhöhter Transportkosten.
5. Herausforderungen bei Schadensersatzklagen
5.1. Beweislast
- Kläger müssen nachweisen, dass ihnen durch das Kartell ein wirtschaftlicher Schaden entstanden ist.
- Die Richtlinie 2014/104/EU hat die Beweisführung erleichtert:
- Gerichte können von einer tatsächlichen Schadensannahme ausgehen, wenn ein Kartell festgestellt wurde.
- Unternehmen müssen ihre internen Dokumente offenlegen.
5.2. Berechnung des Schadens
- Ökonomische Gutachten sind erforderlich, um den tatsächlichen Schaden zu quantifizieren.
- Methode: Vergleich der Preise vor, während und nach dem Kartell.
5.3. Verjährung
- Schadensersatzansprüche verjähren in der Regel 5 Jahre nach Bekanntwerden des Kartells.
6. Rolle der Kartellrechtler bei Schadensersatzverfahren
6.1. Vertretung geschädigter Unternehmen und Verbraucher
- Analyse von Kartellschäden und Berechnung der Schadenshöhe.
- Einleitung von Sammelklagen oder individuellen Klagen gegen Kartellmitglieder.
6.2. Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen vor nationalen Gerichten
- Koordination mit internationalen Kanzleien, wenn es sich um grenzüberschreitende Kartelle handelt.
- Durchsetzung der Offenlegungspflichten, um Beweise von Kartellmitgliedern zu erhalten.
6.3. Abwehr von Schadensersatzforderungen für Unternehmen
- Prüfung, ob der Kläger tatsächlich einen Schaden nachweisen kann.
- Verteidigung in Gerichtsverfahren oder Verhandlung von Vergleichen.
6.4. Beratung zur Vermeidung von Kartellrechtsverstößen
- Prüfung von Verträgen auf kartellrechtliche Risiken.
- Schulungen für Führungskräfte, um Compliance zu stärken.
7. Schadensersatzklagen
Schadensersatzklagen sind ein effektives Mittel, um Unternehmen und Verbraucher für durch Kartelle verursachte wirtschaftliche Schäden zu entschädigen. Die Richtlinie 2014/104/EU hat die Durchsetzung dieser Ansprüche erleichtert, insbesondere durch erleichterte Beweisführung und Offenlegungspflichten.
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