Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung
Marktbeherrschende Unternehmen haben im Wettbewerb nicht die gleiche Freiheit wie „normale“ Unternehmen. Ein Marktverhalten, das bei einem „normalen“ Unternehmen zulässig wäre, kann bei einem marktbeherrschenden Unternehmen als Missbrauch seiner Marktstellung einzustufen sein.
Von einer missbräuchlichen Ausnutzung spricht man, wenn das Unternehmen die Aufrechterhaltung des auf dem Markt noch bestehenden restlichen Wettbewerbs oder dessen Entwicklung durch die Verwendung von Mitteln verhindert, die regelmäßig von den Mitteln eines normalen Produkt- oder Dienstleistungswettbewerbs abweichen.
Ausbeutungsmissbrauch, Behinderungsmissbrauch, Diskriminierung
Beim „Ausbeutungsmissbrauch“ wird die Marktgegenseite durch das marktbeherrschende Unternehmen ausgebeutet, beim „Behinderungsmissbrauch“ werden die Wettbewerbsmöglichkeiten der Wettbewerber des marktbeherrschenden Unternehmens behindert. Als missbräuchliche Verhaltensweisen können weiter Kampfpreise, Ausschließlichkeitsvereinbarungen, Kundenbindungs- und Rabattsysteme, Geschäftsverweigerungen sowie die Versagung des Zugangs zu wesentlichen Einrichtungen zu qualifizieren sein. Der deutsche Gesetzgeber hat in § 19 Absatz 2 GWB Regelbeispiele kodifiziert, denen in der Kartellrechtspraxis wesentliche Bedeutung zukommt.
Missbräuchliche Entgelte
Ein Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung eines Unternehmens ist auch das Verlangen eines missbräuchlichen Entgelts für ein Produkt oder eine Dienstleistung (§ 19 Absatz 2 Nummer 2 GWB). Das geforderte Entgelt ist dann missbräuchlich, wenn es von dem Entgelt abweicht, das sich bei wirksamen Wettbewerb mit hoher Wahrscheinlichkeit ergeben würde (sog. „Als-Ob-Wettbewerb“). Die Bestimmung dieses (fiktiven) Wettbewerbsentgelts erfolgt im Wesentlichen nach zwei Methoden:
Das vom marktbeherrschenden Unternehmen geforderte Entgelt kann mit dem Entgelt verglichen werden, das andere Unternehmen auf anderen räumlichen Märkten – insbesondere solchen, auf denen Wettbewerb besteht – für das gleiche Produkt verlangen (sog. Vergleichsmarktkonzept).
Das Vergleichsmarktkonzept stößt dann an Grenzen, wenn alle in Betracht zu ziehenden Vergleichsmärkte ebenfalls monopolistisch strukturiert sind. Die Missbräuchlichkeit eines Entgelts kann daher auch anhand der Prüfung ermittelt werden, ob das Entgelt „unangemessen“ ist (sog. Kostenkontrolle).
Die Verwendung und Auslegung des Begriffs der „(Un-) Angemessenheit“ ist im Rahmen der Missbrauchsaufsicht eine dem deutschen und europäischen Recht seit langem bekannte und gerichtlich bestätigte Praxis. Der Begriff wird auch in zahlreichen anderen Rechtsbereichen bei der Entgeltkontrolle verwendet. Ein gefordertes Entgelt ist danach unangemessen, wenn ein übertriebenes Missverhältnis zwischen den tatsächlich entstandenen Kosten und dem tatsächlich verlangten Entgelt für ein Produkt besteht.
Ein marktbeherrschendes Unternehmen verhält sich kartellrechtswidrig, wenn es ein anderes Unternehmen diskriminiert, behindert oder seine Marktmacht missbraucht. Im Einzelfall kann es schwer sein, ein verbotenes Verhalten von einem zulässigen Verhalten zu unterscheiden. Insbesondere können scheinbar diskriminierende, behindernde oder missbräuchliche Verhaltensweisen sachlich gerechtfertigt sein. Marktbeherrschende Unternehmen sollten darauf achten, dass sie die unterschiedliche Behandlung anderer Unternehmen oder drastische Maßnahmen gegen Wettbewerber, Kunden oder Lieferanten sachlich begründen können. Dabei können Verhältnisse auf vergleichbaren Märkten bMissbrauch einer marktbeherrschenden Stellung: Definition, Beispiele und Urteile
Der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ist eine zentrale kartellrechtliche Thematik, die sowohl im deutschen als auch im EU-Kartellrecht geregelt ist. Unternehmen mit marktbeherrschender Stellung dürfen ihre Marktmacht nicht missbräuchlich nutzen, um den Wettbewerb zu behindern oder Verbraucher auszubeuten.
1. Rechtsgrundlagen
- Deutschland: § 19, § 20 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB)
- EU: Art. 102 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV)
- International: Orientierung an den Prinzipien der EU-Kommission und des US-Kartellrechts
Nach diesen Vorschriften ist der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung verboten, selbst wenn ein Unternehmen seine Marktmacht rechtmäßig erworben hat. Entscheidend ist nicht die Existenz der Marktmacht, sondern deren missbräuchliche Nutzung.
2. Kriterien für eine marktbeherrschende Stellung
Die Feststellung der Marktmacht erfolgt anhand mehrerer Faktoren:
- Marktanteil: Ab ca. 50 % wird Marktmacht vermutet (EuGH, United Brands, Rs. 27/76).
- Zugangsschranken: Hohe Eintrittsbarrieren für neue Wettbewerber (z. B. Patente, Netzwerkeffekte).
- Abhängigkeit der Kunden: Wenn Abnehmer keine realistische Alternative haben.
- Wettbewerbsstruktur: Marktstruktur, Innovationsgeschwindigkeit und alternative Anbieter.
3. Typen des Missbrauchs und relevante Urteile
3.1 Ausbeutungsmissbrauch (Excessive Pricing)
Hierbei setzt ein marktbeherrschendes Unternehmen unangemessen hohe Preise durch, die nicht durch Kostensteigerungen gerechtfertigt sind.
Beispiel: AKKA/LAA (EuGH, Rs. C-177/16)
- AKKA/LAA, ein lettischer Musikrechteverwerter, setzte überhöhte Lizenzgebühren für Musikveranstalter fest.
- Der EuGH entschied, dass überhöhte Preise missbräuchlich sein können, wenn kein fairer Bezug zur Wertschöpfung besteht.
Beispiel: Facebook-Datenmissbrauch (BGH, KVR 69/19)
- Facebook zwang Nutzer zur Akzeptanz weitgehender Datenverarbeitung ohne Wahlmöglichkeit.
- Der BGH sah dies als Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung im sozialen Netzwerk-Markt.
3.2 Behinderungsmissbrauch (Exclusionary Abuse)
Ein Unternehmen nutzt seine Marktmacht, um Konkurrenten aktiv aus dem Markt zu drängen.
3.2.1 Verdrängungspreise (Predatory Pricing)
Hierbei setzt das Unternehmen Preise unterhalb der Kosten, um Wettbewerber aus dem Markt zu drängen.
Beispiel: AKZO (EuGH, Rs. C-62/86)
- AKZO Chemie senkte gezielt die Preise für Peroxide, um einen kleineren Wettbewerber zu verdrängen.
- Der EuGH entschied, dass Preise unterhalb der variablen Kosten grundsätzlich als missbräuchlich gelten.
3.2.2 Margin Squeeze (Preis-Kosten-Schere)
Ein marktbeherrschendes Unternehmen setzt die Einkaufspreise für Wettbewerber so hoch an, dass diese keine Gewinnmarge mehr erzielen können.
Beispiel: Deutsche Telekom (EuGH, Rs. C-280/08)
- Deutsche Telekom verlangte von Wettbewerbern höhere Entgelte für Netzzugang, als es Endkunden berechnete.
- Die EU-Kommission verhängte ein Bußgeld, bestätigt durch den EuGH.
3.3 Lieferverweigerung (Refusal to Supply)
Ein marktbeherrschendes Unternehmen verweigert Konkurrenten den Zugang zu einer essenziellen Infrastruktur oder wichtigen Produkten.
Beispiel: IMS Health (EuGH, Rs. C-418/01)
- IMS Health verweigerte Wettbewerbern den Zugang zu einer unverzichtbaren Datenbankstruktur.
- Der EuGH entschied, dass eine Lieferverweigerung missbräuchlich ist, wenn es keine Alternativen gibt.
Beispiel: Microsoft (EU-Kommission, 2004)
- Microsoft weigerte sich, technische Schnittstellen für Konkurrenten offenzulegen.
- Die EU-Kommission verhängte eine Strafe von 497 Mio. €.
3.4 Diskriminierung und Knebelverträge
Ein Unternehmen nutzt Vertragsbedingungen, um Konkurrenten oder Kunden ungleich zu behandeln oder zu binden.
Beispiel: United Brands (EuGH, Rs. 27/76)
- United Brands verbot Kunden, Bananen von anderen Anbietern zu beziehen.
- Der EuGH sah dies als missbräuchlich an, da es Wettbewerber behinderte.
Beispiel: Intel (EuG, Rs. T-286/09)
- Intel gewährte PC-Herstellern Rabatte, wenn sie nur Intel-Prozessoren kauften.
- Der EuG erklärte dies als Marktabschottung für missbräuchlich.
3.5 Selbstbevorzugung (Self-Preferencing)
Ein Unternehmen bevorzugt eigene Produkte oder Dienstleistungen in seinem Ökosystem.
Beispiel: Google Shopping (EuG, Rs. T-612/17)
- Google bevorzugte eigene Preisvergleichsdienste in der Suchmaschine.
- Die EU-Kommission verhängte eine Strafe von 2,42 Mrd. €.
Beispiel: Apple App Store (EU-Verfahren, 2021)
- Apple verlangte hohe Gebühren von Entwicklern, während eigene Apps bevorzugt wurden.
- Verfahren läuft noch vor der EU-Kommission.
4. Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung
Der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung umfasst viele Strategien, um Wettbewerb zu unterbinden oder Verbraucher zu benachteiligen. Die EU-Kommission und nationale Kartellbehörden gehen mit hohen Strafen gegen Verstöße vor. Unternehmen müssen ihre Marktstellung kartellrechtskonform nutzen, um Sanktionen zu vermeiden.erücksichtigt werden.
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