Der relevante Markt/ Marktanteile
Der wichtigste Begriff des Kartellrechts ist der “relevante Markt”, dessen Definition und tatsächliche Ausbildung. Denn der relevante Markt ist Bezugspunkt für z.B. die Marktanteile und damit nahezu immer mitentscheidend, ob sich kartellrechtliche Fragen stellen.
Der relevante Markt wird in zeitlicher, sachlicher und räumlicher Hinsicht definiert. Innerhalb dieser Bezüge stellt der sachlich relevante Markt die zentrale Grösse dar, sodann spielt häufig auch der räumlich relevante Markt eine Rolle, wohingegen der zeitlich relevante Markt eher selten bedeutsam wird.
Der Bestimmung des relevanten Marktes kommt daher im Rahmen der Kartellrechtspraxis wesentliche Bedeutung zu; Hauptzweck der Marktdefinition ist die systematische Ermittlung der Wettbewerbskräfte, denen sich die beteiligten Unternehmen zu stellen haben.
Sachlich relevanter Markt
Ein einheitlicher sachlicher Markt liegt vor, wenn die auf ihm angebotenen Produkte funktionell austauschbar sind. Funktionelle Austauschbarkeit wiederum ist dann anzunehmen, wenn aus Sicht der Marktgegenseite zwischen den Produkten kein wesentlicher Unterschied besteht, so dass das Produkt ohne Umstände gegen das Produkt eines anderen Unternehmens ausgetauscht werden kann.
Räumlich relevanter Markt
Der räumlich relevante Markt bezeichnet das Gebiet, in dem sich die objektiven Wettbewerbsbedingungen für das betreffende Produkt für alle Unternehmen gleichen. Wichtige Kriterien sind insbesondere hohe Transportkosten, leichte Verderblichkeit, Sprachbarrieren sowie unterschiedliche Normungen und technische Spezifizierungen.
EU-Kartellrecht und relevanter Markt
Im Unionsrecht gelten vergleichbare Grundsätze; die Europäische Kommission hat diese Grundsätze in ihrer Bekanntmachung zur Definition des relevanten Marktes zusammengefasst.
Berechnung der Marktanteile
Es wurde bereits gezeigt, dass die Bedeutung des Marktanteils für die kartellrechtliche Beurteilung einer wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarung hoch ist (z. B. bei dem Kriterium „Spürbarkeit“, bei „Kooperationen“; „Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung“).
Die Ermittlung des Marktanteils dient im Kartellrecht dazu, die Wettbewerbsverhältnisse auf einem Markt besser beurteilen zu können, und muss mit höchster Sorgfalt durchgeführt werden. Schwierigkeiten entstehen regelmäßig, weil der Marktanteil keine feste, sondern eine schwankende Größe ist. Hinzu kommt, dass der kartellrechtliche Marktanteil nicht immer identisch ist mit dem Marktanteil, den Geschäftsfüh– zu einer Verbesserung der Warenerzeugung oder -verteilung oder zur Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts beitragen, – ohne dass den beteiligten Unternehmen Beschränkungen auferlegt werden, die für die Verwirklichung dieser Ziele nicht unerlässlich sind, und – ohne dass Möglichkeiten eröffnet werden, für einen wesentlichen Teil der betreffenden Waren den Wettbewerb auszuschalten.
Um den kartellrechtlichen Marktanteil bestimmen zu können, muss man zunächst den räumlich und sachlich relevanten Markt abgrenzen. Beim „sachlich relevanten Markt“ wird geprüft, welche Produkte miteinander aus Sicht der Nachfrager hinsichtlich Preis, Qualität oder Verwendungszweck konkurrieren. Hier kommt es vor allem auf die Austauschbarkeit an. Produkte und Dienstleistungen, die noch nicht angeboten werden, deren Angebot aber bevorsteht, können einen Einfluss auf die Wettbewerbsstellung anderer Anbieter haben („potentieller Wettbewerb“). Beim „räumlich relevanten Markt“ wird geprüft, in welchem Gebiet die Abnehmer ihren Bedarf nach einem bestimmten Produkt decken. Der „räumlich relevante Markt“ umfasst also das Gebiet, in dem das betroffene Unternehmen wirksamem Wettbewerb von Konkurrenten ausgesetzt ist, in dem die Wettbewerbsbedingungen homogen sind und das sich insoweit von benachbarten Gebieten deutlich unterscheidet.
Der räumlich relevante Markt kann lokal, national, EU-weit oder international sein. Zur Beurteilung des relevanten Marktes, des Marktanteils und der Wettbewerbskräfte auf dem Markt sind ökonomische Kriterien maßgeblich.
Verschiedene sachlich und räumlich relevante Märkte müssen jeweils gesondert beurteilt werden.
Der relevante Markt und Marktanteil im deutschen Kartellrecht
1. Begriff des relevanten Marktes
Der „relevante Markt“ ist ein zentrales Konzept im Kartellrecht und bildet die Grundlage für die Beurteilung der Marktmacht eines Unternehmens. Er setzt sich aus zwei Komponenten zusammen:
- Sachlich relevanter Markt: Er umfasst alle Produkte oder Dienstleistungen, die nach ihrer Art, ihrem Verwendungszweck und ihrer Austauschbarkeit aus Sicht der Nachfrager als substituierbar gelten. Ein Beispiel ist der Markt für Zement, der sich von anderen Baustoffmärkten unterscheidet.
- Räumlich relevanter Markt: Dieser definiert das geografische Gebiet, in dem die Wettbewerbsbedingungen hinreichend homogen sind. Ein relevanter Markt kann lokal, national oder EU-weit sein.
2. Methoden zur Bestimmung des relevanten Marktes
Die Bestimmung des relevanten Marktes erfolgt häufig anhand der SSNIP-Test-Methode („Small but Significant and Non-transitory Increase in Price“). Dabei wird geprüft, ob eine hypothetische Preiserhöhung um 5–10 % zu einem Abwandern der Nachfrager zu anderen Produkten führt. Wenn ja, sind diese Produkte Teil des relevanten Marktes.
Beispiel: BGH – HRS-Entscheidung (KZR 3/14)
- HRS betrieb eine Hotelbuchungsplattform und nutzte Bestpreisklauseln, um Hotels zu verpflichten, keine günstigeren Preise auf anderen Plattformen anzubieten.
- Der BGH bestimmte den relevanten Markt als „Markt für Hotelbuchungsplattformen in Deutschland“ und stellte fest, dass HRS eine marktbeherrschende Stellung innehatte.
3. Marktanteil als Indikator für Marktmacht
Ein hoher Marktanteil kann auf Marktmacht hindeuten, ist jedoch nicht allein entscheidend. Die deutsche und europäische Rechtsprechung orientiert sich an folgenden Schwellenwerten:
- Marktanteil unter 40 %: In der Regel keine Marktmacht.
- Marktanteil zwischen 40–50 %: Mögliche Marktmacht je nach Marktstruktur.
- Marktanteil über 50 %: Vermutung einer marktbeherrschenden Stellung (vgl. EuGH, United Brands, Rs. 27/76).
Beispiel: EuGH – United Brands (Rs. 27/76)
- United Brands (Chiquita) hatte 40–45 % Marktanteil im Bananenhandel.
- Der EuGH stellte eine marktbeherrschende Stellung fest, da hohe Markteintrittsbarrieren und Abhängigkeiten der Händler bestanden.
Beispiel: Facebook-Beschluss des BGH (KVR 69/19)
- Facebook wurde als marktbeherrschend eingestuft, obwohl es „nur“ 40–50 % Marktanteil hatte.
- Das Gericht berücksichtigte Netzwerkeffekte, hohe Wechselkosten und fehlende alternative soziale Netzwerke in Deutschland.
4. Relevanz für die Tätigkeit von Kartellrechtlern
Kartellrechtler spielen eine zentrale Rolle bei der Marktanalyse, insbesondere in folgenden Bereichen:
- Fusionskontrolle: Beratung bei Unternehmenszusammenschlüssen, z. B. Anmeldung von Fusionen beim Bundeskartellamt.
- Missbrauchsaufsicht: Prüfung, ob Unternehmen ihre marktbeherrschende Stellung missbrauchen (z. B. Google-Fälle).
- Kartellermittlungen: Verteidigung von Unternehmen in Kartellverfahren, z. B. Preisabsprachen.
- Compliance-Beratung: Entwicklung kartellrechtskonformer Unternehmensstrategien.
Praxisbeispiel: Siemens/Alstom (Fusionskontrolle)
- Die EU-Kommission untersagte die Fusion der Bahntechnik-Sparten, da sie zu einer marktbeherrschenden Stellung im Hochgeschwindigkeitszug- und Signaltechnik-Markt geführt hätte.
Bestimmung des relevanten Marktes
Die Bestimmung des relevanten Marktes und die Bewertung von Marktanteilen sind essenziell für das Kartellrecht. Marktbeherrschung ist kein rein quantitativer, sondern auch qualitativer Begriff. Kartellrechtler unterstützen Unternehmen durch Marktanalysen, Compliance-Beratung und Verteidigung in kartellrechtlichen Verfahren.
|