EU-Kartellrecht
In Deutschland ist ohne Auslandsberührung das deutsche Kartellrecht mit seinen Landeskartellbehörden und dem Bundeskartellamt ebenso zu beachten, wie das EU-Kartellrecht mit seiner Wettbewerbskommision der EU-Kommission. In Deutschland tätige Unternehmer müssen mithin das deutsche Kartellrecht als auch das EU-Kartellrecht beachten. Das EU-Kartellrecht wird von der Europäischen Kommission und den nationalen Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten durchgesetzt. Der deutsche Gesetzgeber hat das deutsche Kartellrecht, das im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) geregelt ist, weitgehend an die Regelungen des EU-Kartellrechts angeglichen. Für Unternehmen vorrangig entscheidend sind insofern das Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen (§ 1 GWB; Art. 101 AEUV, ex-Art. 81 EG) und das Missbrauchsverbot (§§ 19 ff. GWB; Art. 102 AEUV, ex-Art. 82 EG).
1. Was ist das EU-Kartellrecht?
Das EU-Kartellrecht dient dem Schutz des Wettbewerbs im Binnenmarkt und soll sicherstellen, dass Unternehmen fair miteinander konkurrieren. Es verbietet wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen, den Missbrauch marktbeherrschender Stellungen und überwacht Unternehmenszusammenschlüsse.
Das EU-Kartellrecht basiert auf folgenden Rechtsgrundlagen:
- Artikel 101 AEUV: Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen (Kartellverbot).
- Artikel 102 AEUV: Verbot des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung.
- Fusionskontrollverordnung (VO 139/2004): Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen.
- Gruppenfreistellungsverordnungen (GVOs): Ausnahmen für bestimmte Kooperationsformen.
Die Europäische Kommission ist die zentrale Wettbewerbsbehörde, die Verstöße untersucht, Sanktionen verhängt und für die Durchsetzung der Regeln sorgt.
2. Artikel 101 AEUV – Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen
Artikel 101 Abs. 1 AEUV verbietet Vereinbarungen zwischen Unternehmen, die den Wettbewerb einschränken. Dazu gehören:
- Preisabsprachen
- Markt- und Gebietsaufteilungen
- Produktions- und Angebotsbeschränkungen
- Konditionsabsprachen
- Abstimmungen über Ausschreibungen (Bid Rigging)
2.1. Ausnahmen: Wann sind Absprachen erlaubt?
Artikel 101 Abs. 3 AEUV erlaubt Ausnahmen, wenn:
- Die Vereinbarung Effizienzgewinne bringt (z. B. verbesserte Produktqualität oder Innovation).
- Die Verbraucher daran beteiligt werden (z. B. niedrigere Preise oder bessere Dienstleistungen).
- Der Wettbewerb nicht vollständig ausgeschaltet wird.
2.2. Beispiele für kartellrechtswidrige Absprachen
LKW-Kartell (EuG, Rs. T-799/17)
- Sachverhalt: Große LKW-Hersteller wie Daimler, Volvo und MAN hatten sich über Preise und Abgasnorm-Anpassungen abgesprochen.
- Ergebnis: Geldbußen von insgesamt 3,8 Milliarden Euro durch die EU-Kommission.
Schienenkartell (EuGH, Rs. C-68/12)
- Sachverhalt: Schienenhersteller wie ThyssenKrupp und Voestalpine teilten sich Märkte auf.
- Ergebnis: Bußgelder in Millionenhöhe wegen Marktaufteilung.
Lebensmitteleinzelhandel-Kartell (BKartA, B2-57/10)
- Sachverhalt: Große Einzelhändler einigten sich mit Herstellern auf Rabattsysteme.
- Ergebnis: Millionenstrafen wegen wettbewerbswidriger Konditionsabsprachen.
3. Artikel 102 AEUV – Verbot des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung
Ein Unternehmen hat eine marktbeherrschende Stellung, wenn es so stark ist, dass es den Markt erheblich beeinflussen kann. Missbrauch liegt vor, wenn es diese Stellung nutzt, um:
- Preise künstlich hochzuhalten oder Wettbewerber zu verdrängen (Preismissbrauch).
- Lieferketten zu kontrollieren und Konkurrenten auszuschließen.
- Exklusivitätsklauseln oder Rabattsysteme zur Marktabschottung zu verwenden.
3.1. Beispiele für Marktmissbrauch
Microsoft-Fall (EuG, Rs. T-201/04)
- Sachverhalt: Microsoft verweigerte Konkurrenten Zugang zu Schnittstellen, um seine Monopolstellung zu sichern.
- Ergebnis:899 Millionen Euro Geldbuße wegen Missbrauchs der Marktstellung.
Google Shopping (EuG, Rs. T-612/17)
- Sachverhalt: Google priorisierte eigene Shopping-Dienste in den Suchergebnissen.
- Ergebnis:2,42 Milliarden Euro Strafe wegen unzulässiger Bevorzugung eigener Dienste.
Intel (EuGH, Rs. C-413/14 P)
- Sachverhalt: Intel gewährte Großhändlern Rabatte, wenn sie ausschließlich Intel-Produkte kauften.
- Ergebnis:1,06 Milliarden Euro Geldbuße wegen Wettbewerbsbehinderung.
4. Fusionskontrolle (VO 139/2004)
4.1. Ziel und Anwendungsbereich
Die Fusionskontrolle stellt sicher, dass Unternehmenszusammenschlüsse nicht zu einer übermäßigen Marktkonzentration führen.
4.2. Prüfverfahren
Die Europäische Kommission prüft Fusionen, wenn:
- Der Umsatz der beteiligten Unternehmen weltweit über 5 Milliarden Euro liegt oder
- Der Umsatz eines einzelnen Unternehmens in der EU 250 Millionen Euro übersteigt, es sei denn, zwei Drittel des Umsatzes werden außerhalb der EU erzielt.
4.3. Beispiele für untersagte Fusionen
Siemens/Alstom (2019)
- Sachverhalt: Fusion der größten europäischen Zughersteller wurde blockiert.
- Begründung: Gefahr einer marktbeherrschenden Stellung im Hochgeschwindigkeitszugmarkt.
UPS/TNT (2013)
- Sachverhalt: UPS wollte den Konkurrenten TNT übernehmen.
- Ergebnis: Verbot durch die EU-Kommission wegen drohender Preissteigerungen.
5. Gruppenfreistellungsverordnungen (GVOs)
GVOs erlauben bestimmte Kooperationen unter klaren Bedingungen:
- Vertikal-GVO (2022/720) → Vertriebssysteme (z. B. selektiver Vertrieb).
- F&E-GVO (1217/2010) → Gemeinsame Forschung und Entwicklung.
- Spezialisierungs-GVO (1218/2010) → Arbeitsteilung zwischen Unternehmen.
- Technologietransfer-GVO (316/2014) → Lizenzvereinbarungen.
- Kfz-GVO (461/2010) → Vertrieb und Reparatur von Autos.
6. Was können Kartellrechtler tun?
6.1. Präventive Beratung und Compliance
- Analyse, ob Vereinbarungen oder Fusionen kartellrechtskonform sind.
- Entwicklung von Compliance-Programmen für Unternehmen.
- Schulungen für Führungskräfte, um Verstöße zu vermeiden.
6.2. Vertretung in Kartellverfahren
- Verteidigung vor der EU-Kommission oder dem Bundeskartellamt.
- Verhandlung von Kronzeugenregelungen, um Bußgelder zu reduzieren.
- Koordination interner Ermittlungen bei Kartellverdacht.
6.3. Schadensersatzklagen und Litigation
- Vertretung geschädigter Unternehmen gegen Kartelle (Follow-on-Klagen).
- Abwehr von Schadensersatzforderungen in Kartellverfahren.
7. EU-Kartellrecht
Das EU-Kartellrecht ist eines der schärfsten weltweit. Es schützt den Wettbewerb und Verbraucher vor Monopolen, Marktmissbrauch und Preisabsprachen.
Kartellrechtler spielen eine zentrale Rolle bei der Beratung, Compliance, Verteidigung in Verfahren und der Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen. Unternehmen sollten frühzeitig rechtliche Beratung in Anspruch nehmen, um Verstöße zu vermeiden und wirtschaftliche Risiken zu minimieren.
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