Kartellrecht (deutsches und europäische Kartellrecht)
Das Kartellrecht beschränkt Kartelle und vergleichbare Gebilde in Ihrer Handlungs- und Vertragsfreiheit bis hin zu einem Kontraktionszwang (Zwang zum Abschluss eines Vertrages). Es verbietet in der Generalklausel des § 1 GWB bestimmte Verhaltensweisen. Zum Kartellrecht gehört zudem das Fusionskontrollrecht, also die Kontrolle von Zusammenschlüssen von Unternehmen. Zudem wurde das Vergaberecht in das Kartellrecht eingegliedert. Besonderheiten bestehen auf dem Gebiet des Energierechts, des Telekommunikationsrechts sowie im Rahmen eigenständiger Verfahren (z.B.: Antidumping-Verfahren).
In Deutschland ist ohne Auslandsberührung das deutsche Kartellrecht mit seinen Landeskartellbehörden und dem Bundeskartellamt ebenso zu beachten, wie das EU-Kartellrecht mit seiner Wettbewerbskommision der EU-Kommission. In Deutschland tätige Unternehmer müssen mithin das deutsche Kartellrecht als auch das EU-Kartellrecht beachten. Das EU-Kartellrecht wird von der Europäischen Kommission und den nationalen Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten durchgesetzt. Der deutsche Gesetzgeber hat das deutsche Kartellrecht, das im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) geregelt ist, weitgehend an die Regelungen des EU-Kartellrechts angeglichen. Für Unternehmen vorrangig entscheidend sind insofern das Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen (§ 1 GWB; Art. 101 AEUV) und das Missbrauchsverbot (§§ 19 ff. GWB; Art. 102 AEUV).
Dabei stellt heute das Kartellrecht keineswegs ausschliesslich für Großunternehmen eine wichtige Materie dar, vielmehr strahlt Kartellrecht bis in einfache zB Liefer- oder Herstellungsverträge mittelständischer Unternehmen aus.
Anwendbarkeit von EU-Kartellrecht
Wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen werden immer dann nach europäischem Recht (Art. 101 AEUV) beurteilt, wenn sie geeignet sind, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten der EU zu beeinträchtigen (z. B. Forschungskooperationen zwischen Unternehmen aus verschiedenen EU-Mitgliedstaaten). An diese Eignung zur Handelsbeeinträchtigung werden nur geringe Anforderungen gestellt, d. h. die Schwelle zur europäischen Relevanz ist schnell überschritten.
Keine Anmeldepflicht bei Kartellbehörden, sondern kartellrechtliche Selbstprüfung der Unternehmen
Früher mussten Unternehmen wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen bei den Kartellbehörden anmelden und genehmigen lassen.
Heute ist es die Pflicht der Unternehmen, selbst zu prüfen, ob ihr Verhalten mit dem Kartellrecht vereinbar ist. Ob eine Absprache ein verbotenes Kartell oder eine zulässige Kooperation ist, hängt oft ausschlaggebend vom Marktanteil der beteiligten Unternehmen ab. Auch im Rahmen des Missbrauchsverbots, d.h. ob das Verhalten eines Unternehmens unzulässig ist, weil es ein anderes Unternehmen behindert oder diskriminiert, ist die Marktbeherrschung ausschlaggebender Anknüpfungspunkt im Kartellrecht.
Wettbewerbsverstöße/ Kartellverstöße können erhebliche Risiken nach sich ziehen. Hierzu zählen die Nichtigkeit der Vereinbarungen, Bußgelder, Vorteilsabschöpfung und strafrechtliche Sanktionen.
Wenn - auch nur entfernt liegend - die Möglichkeit erkennbar wird, dass kartellrechtliche Regelungen betroffen sind, sollten Sie unbedingt einen spezialisierten Rechtsanwalt konsultieren, um erhebliche Nachteile zu vermeiden.
Das Kartellverbot
Das Kartellverbot ist als Generalklausel in § 1 GWB sprachlich verständlich formuliert: Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken, sind verboten.
Rechtlich “verstecken” sich hinter den einzelnen Begriffen dieses Kartellverbotes jedoch unzählige praktische Fälle und ehemalige gesetzlich normierte Kartellverbote, die allesamt in die Praxis des Kartellverbotes bis heute einfliessen. Schon dem Wortlaut lässt sich beispielsweise entnehmen, dass nicht nur “Vereinbarungen” betroffen sind, sondern auch blosse tatsächliche “abgestimmte Verhaltensweisen” (ohne Vertrag/ Vereinbarung).
Dieses Kartellverbot gilt absolut für alle Vereinbarungen zwischen Wettbewerbern, die Preis-, Quoten-, Kunden- oder Gebietsabsprachen betreffen, und für Vereinbarungen mit Abnehmern, die eine Preisbindung der Zweiten Hand zum Gegenstand haben (sog. Hardcore-Vereinbarungen).
Andere den Wettbewerb beschränkende Vereinbarungen können im Einzelfall wegen mangelnder Spürbarkeit von dem Kartellverbot ausgenommen sein, da das Kartellverbot nicht jede unbedeutende Bagatellbeschränkung erfassen soll.
Unter bestimmten Voraussetzungen werden auch an sich spürbare Wettbewerbsbeschränkungen vom Kartellverbot ausgenommen (gesetzliche Freistellung vom Kartellverbot).
Fallgruppen der Wettbewerbsbeschränkungen
Wettbewerbsbeschränkungen sind Vereinbarungen, Beschlüsse oder abgestimmte Verhaltensweisen zwischen Unternehmen, die den Wettbewerb beeinträchtigen können. Sie sind im deutschen Kartellrecht im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) und im europäischen Kartellrecht in Artikel 101 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) geregelt. Wettbewerbsbeschränkungen können in verschiedene Fallgruppen unterteilt werden, die im Folgenden ausführlich erläutert werden.
1. Horizontale Wettbewerbsbeschränkungen
Horizontale Wettbewerbsbeschränkungen betreffen Vereinbarungen oder abgestimmte Verhaltensweisen zwischen Unternehmen, die auf derselben Marktstufe tätig sind (z.B. Konkurrenten). Sie gelten als besonders schwerwiegend, da sie den Wettbewerb unmittelbar beeinträchtigen.
1.1 Preisabsprachen
Preisabsprachen sind Vereinbarungen zwischen Wettbewerbern, die Preise für bestimmte Produkte oder Dienstleistungen festzulegen. Sie führen zu höheren Preisen für Verbraucher und schaden dem Wettbewerb.
Beispiel: Im "Zementkartell" (BGH, Urteil vom 11.12.2013 – KRB 20/13) hatten mehrere Zementhersteller Preise abgesprochen und sich Marktanteile aufgeteilt. Das Bundeskartellamt verhängte hohe Geldbußen gegen die beteiligten Unternehmen.
1.2 Gebiets- und Kundenaufteilungen
Unternehmen vereinbaren, bestimmte geografische Gebiete oder Kundengruppen untereinander aufzuteilen, um sich nicht gegenseitig zu konkurrieren. Dies schränkt die Wahlmöglichkeiten der Verbraucher ein.
Beispiel: Im "Bierkartell" (BGH, Urteil vom 24.01.2017 – KRB 61/15) hatten Brauereien vereinbart, sich nicht in den jeweiligen Vertriebsgebieten der Konkurrenten zu betätigen. Dies wurde als wettbewerbswidrig eingestuft.
1.3 Quoten- und Mengenabsprachen
Unternehmen legen fest, wie viel von einem Produkt produziert oder verkauft werden darf, um künstliche Knappheit und höhere Preise zu erzielen.
Beispiel: Im "Vitaminkartell" (EuGH, Urteil vom 08.12.2011 – C-510/06 P) hatten mehrere Hersteller von Vitaminen ihre Produktionsmengen abgesprochen, um die Preise hochzuhalten. Die Europäische Kommission verhängte Geldbußen in Milliardenhöhe.
1.4 Boykottabsprachen
Unternehmen vereinbaren, bestimmte Wettbewerber, Lieferanten oder Kunden vom Markt auszuschließen, um den Wettbewerb zu beschränken.
Beispiel: Im Fall "Cementbouw" (EuGH, Urteil vom 23.02.2006 – C-202/06 P) wurde eine Vereinbarung zwischen Unternehmen als wettbewerbswidrig eingestuft, die darauf abzielte, einen Konkurrenten vom Markt auszuschließen.
2. Vertikale Wettbewerbsbeschränkungen
Vertikale Wettbewerbsbeschränkungen betreffen Vereinbarungen zwischen Unternehmen, die auf unterschiedlichen Marktstufen tätig sind (z.B. Hersteller und Händler). Sie sind oft weniger schwerwiegend als horizontale Beschränkungen, können aber dennoch den Wettbewerb beeinträchtigen.
2.1 Preisbindung der zweiten Hand
Ein Hersteller schreibt dem Händler vor, zu welchem Preis ein Produkt weiterverkauft werden darf. Dies schränkt den Wettbewerb zwischen den Händlern ein.
Beispiel: Im Fall "Adidas" (BGH, Urteil vom 06.02.2013 – KZR 56/11) wurde die Preisbindung für Sportschuhe als wettbewerbswidrig eingestuft, da sie den Händlern keine Preisspielräume ließ.
2.2 Gebietsschutz
Ein Hersteller gewährt einem Händler das exklusive Recht, ein Produkt in einem bestimmten Gebiet zu vertreiben. Dies kann den Wettbewerb zwischen Händlern einschränken.
Beispiel: Im Fall "Grundig/Consten" (EuGH, Urteil vom 13.07.1966 – 56/64) wurde ein exklusiver Vertriebsvertrag zwischen einem Hersteller und einem Händler als wettbewerbswidrig eingestuft, da er den Handel zwischen den Mitgliedstaaten behinderte.
2.3 Alleinbezugs- und Alleinvertriebsvereinbarungen
Ein Händler verpflichtet sich, bestimmte Produkte nur von einem Hersteller zu beziehen, oder ein Hersteller verpflichtet sich, seine Produkte nur über einen bestimmten Händler zu vertreiben.
Beispiel: Im Fall "Soda-Club" (EuGH, Urteil vom 20.11.2008 – C-542/06) wurde eine Alleinvertriebsvereinbarung als wettbewerbswidrig eingestuft, da sie den Marktzugang für andere Händler erschwerte.
3. Sonstige Wettbewerbsbeschränkungen
3.1 Diskriminierung
Unternehmen mit marktbeherrschender Stellung dürfen andere Unternehmen nicht ohne sachlichen Grund diskriminieren, z.B. durch unterschiedliche Preise oder Lieferbedingungen.
Beispiel: Im Fall "Deutsche Bahn" (BGH, Urteil vom 07.05.2013 – KVR 12/11) wurde die Deutsche Bahn wegen der Diskriminierung von Wettbewerbern im Schienengüterverkehr verurteilt.
3.2 Behinderungsstrategien
Unternehmen mit marktbeherrschender Stellung dürfen Wettbewerber nicht behindern, z.B. durch den Ausschluss von wichtigen Vertriebskanälen oder die Verweigerung von Zugang zu wesentlichen Infrastrukturen.
Beispiel: Im Fall "Microsoft" (EuGH, Urteil vom 17.09.2007 – T-201/04) wurde Microsoft verurteilt, weil es Wettbewerber durch die Verweigerung von Schnittstelleninformationen behindert hatte.
4. Abgestimmte Verhaltensweisen
Abgestimmte Verhaltensweisen liegen vor, wenn Unternehmen ohne ausdrückliche Vereinbarung ihr Verhalten auf dem Markt koordinieren, um den Wettbewerb zu beschränken. Dies kann z.B. durch Signale oder stillschweigende Absprachen geschehen.
Beispiel: Im Fall "T-Mobile" (EuGH, Urteil vom 04.06.2009 – C-8/08) wurde ein Telekommunikationsunternehmen verurteilt, weil es Preiserhöhungen mit Wettbewerbern abgestimmt hatte.
5. Freistellungen und Ausnahmen
Nicht alle Wettbewerbsbeschränkungen sind verboten. Unter bestimmten Voraussetzungen können sie von den Kartellbehörden freigestellt werden, wenn sie Effizienzgewinne bringen, die an die Verbraucher weitergegeben werden.
Beispiel: Im Fall "CEPSA" (EuGH, Urteil vom 11.09.2014 – C-68/12) wurde eine Vereinbarung zwischen Mineralölunternehmen freigestellt, da sie zu Effizienzgewinnen führte, die den Verbrauchern zugutekamen.
6. Wettbewerbsbeschränkungen
Wettbewerbsbeschränkungen können in verschiedenen Formen auftreten und den Wettbewerb erheblich beeinträchtigen. Die Fallgruppen reichen von horizontalen Absprachen wie Preis- und Gebietsabsprachen bis hin zu vertikalen Beschränkungen wie Preisbindungen und Alleinvertriebsvereinbarungen. Kartellbehörden und Gerichte verfolgen solche Verstöße konsequent und verhängen hohe Geldbußen. Die genannten Beispiele und Urteile verdeutlichen die praktische Relevanz und die rechtlichen Konsequenzen von Wettbewerbsbeschränkungen.
Preisempfehlungen
Unverbindliche Preisempfehlungen sind bis zu einem Marktanteil des Lieferanten und des Abnehmers von jeweils 30 % ebenfalls grundsätzlich erlaubt. Etwas anderes gilt wiederum dann, wenn sich die Preisempfehlungen wegen der Ausübung von Druck oder der Gewährung von Anreizen durch eine der Vertragsparteien tatsächlich wie Fest- oder Mindestpreise auswirken. Unzulässiger Druck wäre z.B. die Drohung, die Belieferung einzustellen oder zu verzögern, wenn der empfohlene Preis nicht eingehalten wird. Ein anderes Beispiel ist die Androhung von Rabattkürzungen, die ebenfalls unzulässig ist.
Meistbegünstigungsklauseln
Wenn die Marktanteile des Lieferanten und des Abnehmers jeweils 30 % nicht übersteigen, sind auch sog. Meistbegünstigungsklauseln zulässig. Solche Klauseln verpflichten den Lieferanten, anderen Abnehmern keine günstigeren Einkaufsbedingungen einzuräumen als dem Vertragspartner der Meistbegünstigungsklausel; sie können auch für den Lieferanten die Verpflichtung begründen, dem Vertragspartner nachträglich die gleichen (günstigeren) Einkaufsbedingungen einzuräumen.
Selektiver Vertrieb/ selektive Vertriebssysteme
In sog. selektiven Vertriebssystemen verpflichten sich Lieferant und Händler, die (vom Lieferanten zur Verfügung gestellten) Vertragswaren nur an Händler zu liefern, die bestimmte vom Lieferanten festgelegte Kriterien erfüllen.
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