Vertikale Wettbewerbsbeschränkungen
Vertikale Wettbewerbsbeschränkungen betreffen Vereinbarungen oder abgestimmte Verhaltensweisen zwischen Unternehmen, die auf unterschiedlichen Marktstufen tätig sind, z.B. zwischen Herstellern und Händlern. Im Gegensatz zu horizontalen Wettbewerbsbeschränkungen (zwischen Wettbewerbern) sind vertikale Beschränkungen oft weniger schwerwiegend, können aber dennoch den Wettbewerb beeinträchtigen. Sie sind im deutschen Kartellrecht im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) und im europäischen Kartellrecht in Artikel 101 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) geregelt.
1. Preisbindung der zweiten Hand
1.1 Definition
Bei der Preisbindung der zweiten Hand schreibt ein Hersteller oder Lieferant dem Händler vor, zu welchem Preis ein Produkt an den Endverbraucher weiterverkauft werden darf. Dies schränkt die Preissetzungsfreiheit des Händlers ein und kann den Wettbewerb zwischen Händlern beeinträchtigen.
1.2 Beispiele
Fall "Adidas" (BGH, Urteil vom 06.02.2013 – KZR 56/11): Adidas hatte seinen Händlern vorgeschrieben, zu welchem Preis Sportschuhe verkauft werden dürfen. Der Bundesgerichtshof (BGH) entschied, dass solche Preisbindungen wettbewerbswidrig sind, da sie den Händlern keine Preisspielräume lassen.
Fall "Cotswold" (EuGH, Urteil vom 20.01.2016 – C-549/14 P): Ein Hersteller von Outdoor-Ausrüstung hatte seinen Händlern verboten, Produkte unter einem bestimmten Preis zu verkaufen. Die Europäische Kommission verhängte eine Geldbuße.
1.3 Rolle von Kartellrechtlern
Beratung: Kartellrechtler beraten Hersteller und Händler, wie sie vertikale Vereinbarungen gestalten können, ohne gegen das Kartellrecht zu verstoßen.
Verteidigung: Sie vertreten Unternehmen in Verfahren vor Kartellbehörden oder Gerichten, wenn Preisbindungen angefochten werden.
Compliance: Sie entwickeln Compliance-Programme, um sicherzustellen, dass Unternehmen keine unzulässigen Preisbindungen vereinbaren.
2. Gebietsschutz und Alleinvertriebsvereinbarungen
2.1 Definition
Bei Gebietsschutz gewährt ein Hersteller einem Händler das exklusive Recht, ein Produkt in einem bestimmten geografischen Gebiet zu vertreiben. Bei Alleinvertriebsvereinbarungen verpflichtet sich ein Hersteller, seine Produkte nur über einen bestimmten Händler zu vertreiben. Solche Vereinbarungen können den Wettbewerb zwischen Händlern einschränken.
2.2 Beispiele
Fall "Grundig/Consten" (EuGH, Urteil vom 13.07.1966 – 56/64): Ein Hersteller von Elektronikgeräten hatte einem französischen Händler das exklusive Vertriebsrecht für Frankreich eingeräumt. Der EuGH entschied, dass dies den Handel zwischen den Mitgliedstaaten behindert und gegen das europäische Kartellrecht verstößt.
Fall "Soda-Club" (EuGH, Urteil vom 20.11.2008 – C-542/06): Ein Hersteller von Wassersprudlern hatte eine Alleinvertriebsvereinbarung mit einem Händler getroffen. Die Europäische Kommission stellte fest, dass dies den Marktzugang für andere Händler erschwerte.
2.3 Rolle von Kartellrechtlern
Vertragsgestaltung: Kartellrechtler prüfen Verträge auf wettbewerbsrechtliche Risiken und helfen bei der Gestaltung von Vereinbarungen, die im Einklang mit dem Kartellrecht stehen.
Freiheitsprüfung: Sie prüfen, ob vertikale Vereinbarungen von der Gruppenfreistellungsverordnung (VO (EU) 330/2010) erfasst sind, die bestimmte vertikale Beschränkungen unter bestimmten Voraussetzungen freistellt.
Verhandlung: Sie unterstützen Unternehmen bei der Verhandlung von Vertriebsvereinbarungen, um kartellrechtliche Risiken zu minimieren.
3. Alleinbezugsvereinbarungen
3.1 Definition
Bei Alleinbezugsvereinbarungen verpflichtet sich ein Händler, bestimmte Produkte nur von einem Hersteller zu beziehen. Dies kann den Wettbewerb zwischen Herstellern einschränken, da andere Hersteller vom Markt ausgeschlossen werden.
3.2 Beispiele
Fall "Intel" (EuGH, Urteil vom 06.09.2017 – C-413/14 P): Intel hatte Computerhersteller dazu verpflichtet, Prozessoren ausschließlich von Intel zu beziehen. Die Europäische Kommission verhängte eine Geldbuße von 1,06 Mrd. Euro.
Fall "Coca-Cola" (EuGH, Urteil vom 22.03.2012 – C-549/10 P): Coca-Cola hatte Händler dazu verpflichtet, bestimmte Getränke ausschließlich von Coca-Cola zu beziehen. Dies wurde als wettbewerbswidrig eingestuft.
3.3 Rolle von Kartellrechtlern
Risikobewertung: Kartellrechtler bewerten das Risiko von Alleinbezugsvereinbarungen und beraten Unternehmen, wie sie solche Vereinbarungen gestalten können, ohne gegen das Kartellrecht zu verstoßen.
Verteidigung: Sie vertreten Unternehmen in Verfahren vor Kartellbehörden oder Gerichten, wenn Alleinbezugsvereinbarungen angefochten werden.
Alternativen: Sie entwickeln alternative Vertriebsstrategien, die den Wettbewerb weniger beeinträchtigen.
4. Kopplungsgeschäfte
4.1 Definition
Bei Kopplungsgeschäften wird der Verkauf eines Produkts an die Abnahme eines anderen Produkts geknüpft. Dies kann den Wettbewerb einschränken, da Kunden gezwungen werden, Produkte zu erwerben, die sie nicht benötigen.
4.2 Beispiele
Fall "Microsoft" (EuGH, Urteil vom 17.09.2007 – T-201/04): Microsoft hatte den Verkauf des Windows-Betriebssystems an die Abnahme des Media Players geknüpft. Die Europäische Kommission verhängte eine Geldbuße von 497 Mio. Euro.
Fall "Tetra Pak" (EuGH, Urteil vom 14.11.1996 – C-333/94 P): Tetra Pak hatte den Verkauf von Verpackungsmaschinen an die Abnahme von Verpackungsmaterial geknüpft. Dies wurde als wettbewerbswidrig eingestuft.
4.3 Rolle von Kartellrechtlern
Prüfung von Geschäftspraktiken: Kartellrechtler prüfen Geschäftspraktiken auf mögliche Kopplungsgeschäfte und beraten Unternehmen, wie sie diese vermeiden können.
Verteidigung: Sie vertreten Unternehmen in Verfahren vor Kartellbehörden oder Gerichten, wenn Kopplungsgeschäfte angefochten werden.
Schulungen: Sie schulen Mitarbeiter von Unternehmen, um sie für die Risiken von Kopplungsgeschäften zu sensibilisieren.
5. Sonstige vertikale Beschränkungen
5.1 Diskriminierung
Unternehmen dürfen andere Unternehmen nicht ohne sachlichen Grund diskriminieren, z.B. durch unterschiedliche Preise oder Lieferbedingungen.
Beispiel: Im Fall "Deutsche Bahn" (BGH, Urteil vom 07.05.2013 – KVR 12/11) wurde die Deutsche Bahn wegen der Diskriminierung von Wettbewerbern im Schienengüterverkehr verurteilt.
5.2 Behinderungsstrategien
Unternehmen dürfen Wettbewerber nicht behindern, z.B. durch den Ausschluss von wichtigen Vertriebskanälen oder die Verweigerung von Zugang zu wesentlichen Infrastrukturen.
Beispiel: Im Fall "Google Shopping" (EuGH, Urteil vom 10.11.2021 – C-48/20 P) wurde Google verurteilt, weil es Wettbewerber durch die bevorzugte Darstellung eigener Dienste in den Suchergebnissen behindert hatte.
6. Vertikale Wettbewerbsbeschränkungen
Vertikale Wettbewerbsbeschränkungen können den Wettbewerb erheblich beeinträchtigen, insbesondere wenn sie den Marktzugang für andere Unternehmen erschweren oder die Preissetzungsfreiheit einschränken. Kartellrechtler spielen eine zentrale Rolle bei der Bewältigung solcher Fälle. Sie beraten Unternehmen, prüfen Verträge und Geschäftspraktiken, vertreten Unternehmen in Verfahren vor Behörden und Gerichten und entwickeln Compliance-Programme, um kartellrechtliche Risiken zu minimieren. Die genannten Beispiele und Urteile verdeutlichen die praktische Relevanz und die rechtlichen Konsequenzen vertikaler Wettbewerbsbeschränkungen.
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